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Vergänglichkeit
Ich bin ein sentimentaler Mensch und hänge an meinem Krimskrams – Fotos, Briefe, Zettelchen, alte Eintrittskarten und Flugtickets. Irgendwo in einer Schublade befindet sich noch das Halsband von unserem vor 1 ½ Jahren überfahrenen Kater Mole, und meine Milchzähne habe ich früher aufbewahrt, bis sie von selbst zerbrachen.Vor ein paar Wochen machte Brandon meine Festplatte kaputt. Er hatte zum Geburtstag einen neuen Computer bekommen, und ich wollte in wenigen Tagen seinen alten übernehmen. Eigentlich wollte er mir nur zeigen, wie ich etwas aus iTunes übertragen konnte, aber meine alte, bockige Maschine trieb ihn zur Weißglut; als sie sich zum x-ten Mal aufgehängt hatte, schlug er kräftig mit der Faust auf den Tower, und eine unheilvolle Stille trat ein. Wir versuchten mehrmals, den Computer neu zu starten, aber es war nichts mehr zu machen. Brandon war entsetzt. “Es tut mir so Leid! Jetzt haben wir wirklich kein Office mehr!” (Die CD haben wir nicht mehr – längere Geschichte…) “Das ist es nicht,” sagte ich zerknirscht, “aber meine Fotos, meine Artikel, meine Texte…” “Aber du hast doch Backups davon?!?” “N-nein…”
Den restlichen Abend trauerte ich meinen verlorenen Dateien nach, versuchte, nachzuvollziehen, welche Fotos ich in Online-Alben gespeichert hatte, welche Versionen meines Lebenslaufs ich per E-mail verschickt und somit noch verfügbar hatte. Dazu kamen meine Bookmarks. Über Jahre hatte ich akribisch Seiten gebookmarkt, die ich mir merken wollte. Vor allem aus meiner langen Stellensuche gab es zahlreiche Seiten von “interessanten” Firmen in der Umgebung, die ich nie wieder finden würde… Es war mir immer zu lästig gewesen, Backups auf CD zu machen. Wieso eigentlich? Dann dachte ich mir: Was soll’s? Ich habe sowieso gerade eine interessante Stelle gefunden und werde hoffentlich vorerst dort bleiben. Was mir an gespeicherten Artikeln oder anderen Seiten wieder einfällt, werde ich auch wieder finden können. Und was mir nicht mehr einfällt, war dann eben auch nicht wichtig… Langsam schloss ich Frieden mit der Situation.
Am nächsten Tag brachte Brandon meine Festplatte in einen Computerladen. Drei Tage später holte er sie wieder ab. Sie hatten “Meine Dateien” retten können - den Löwenanteil meiner Dokumente, alles bis auf die Bookmarks.
Die Festplatte haben wir immer noch nicht auf meinen “neuen” Computer übertragen. Bisher habe ich nichts davon vermisst.
Wenige Tage, nachdem der Festplatten-GAU passiert war (ich hatte Brandons alten Computer inzwischen in Beschlag genommen), unterhielt ich mich abends mit Brandon im Arbeitszimmer, während er ein neues Virenschutzprogramm laufen ließ. Er war gerade dabei, die gefundenen “verdächtigen” Dateien zu löschen. Plötzlich stutzte er und wurde dann nervös. Er klickte sich aus dem Programm und öffnete sein iTunes. Es war leer. Sein neues Programm hatte ihm seine gesamte iTunes-Library zur Löschung vorgeschlagen, und er hatte angenommen. Drei Jahre Arbeit und viel Geld und Liebe steckten in dieser Library; er hatte sich zu jeder Gelegenheit iTunes-Karten gewünscht und sich sehr sorgfältig eine Sammlung obskurer und von ihm heißgeliebter Musik zugelegt. Er rannte zum Telefon, um den Kundenservice anzurufen, und machte die Tür hinter sich zu. Nach wenigen Minuten hörte ich ihn schluchzen. Die Aktion war nicht mehr rückgängig zu machen.
Mir fehlten die Worte. Er tat mir furchtbar Leid. Plötzlich richtete er sich auf, lief zu seinem alten - meinem neuen - Computer und begann, seine alten Ordner zu durchsuchen, bis er gefunden hatte, was er suchte: die Backups seiner Musik-Dateien. Das einzige, was fehlte, waren die letzten 4-6 Wochen, die Zeit seit seinem Geburtstag. Ich war begeistert, Brandon grummelte („Das muss ich jetzt alles von Hand auf den neuen Computer übertragen“), aber er räumte schließlich doch ein, dass er grenzenlos erleichtert war.
Und die (ziemlich offensichtliche) Moral von der Geschichte? Ich schätze, ich habe eingesehen, dass ich ab und zu Backups machen sollte – wenigstens von Dokumenten, die zeitintensiv und für mich wertvoll sind. Brandons iTunes hat das eindrucksvoll bewiesen. Wenn aber doch einmal etwas schiefgehen sollte - auch CDs können ja kaputt oder verloren gehen -, ist das letztendlich OK. Alles wird gut :-)
(Trotzdem kaufe ich mir diese Woche ein paar USB-Sticks.)
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